Sunday, February 14, 2016

Karl Valentin. Der Liebesbrief
Januar den 33. München, 1925 1/2.


Lieber Geliebter!

Mit weinenden Händen nehme ich den Federhalter in meine Hände und schreibe Dir. -
Warum hast Du so lange nicht geschrieben, wo Du doch neulich geschrieben hast, daß Du mir schreibst, wenn ich Dir nicht schreibe. - Mein Vater hat mir gestern auch geschrieben. Er schreibt, daß er Dir geschrieben hätte. Du hast mir aber kein Wort davon geschrieben, daß er Dir geschrieben hat.
Hättest Du mir ein Wort davon geschrieben, daß Dir mein Vater geschrieben hat, so hätte ich meinem Vater geschrieben, daß Du ihm schon schreiben hättest wollen, hättest aber keine Zeit gehabt zum Schreiben, sonst hättest Du ihm schon geschrieben.
Mit unserer Schreiberei ist es sehr traurig, weil Du mir auf kein einziges Schreiben, welches ich Dir geschrieben habe, geschrieben hast.
Wenn Du nicht schreiben könntest, wäre es was anderes, dann tät ich Dir überhaupt nicht schreiben, so kannst Du aber schreiben und schreibst doch nicht, wenn ich Dir schreibe.
Ich schließe mein Schreiben und hoffe, daß Du mir nun endlich einmal schreibst, sonst ist dies mein letztes Schreiben, welches ich Dir geschrieben habe. Solltest Du aber diesmal wieder nicht schreiben, so schreibe mir wenigstens, daß Du mir überhaupt nicht schreiben willst, dann weiß ich wenigstens, warum Du mir nie geschrieben hast.
Verzeihe mir die schlechte Schrift, ich bekomme immer den Schreibkrampf unterm Schreiben, Du bekommst natürlich nie den Schreibkrampf, weil Du nie schreibst.

Gruß und Kuß

Deine N.N.

No comments:

Post a Comment