Karl Valentin. Der Liebesbrief
Januar den 33. München, 1925 1/2.
Lieber Geliebter!
Mit weinenden Händen nehme ich den Federhalter in meine Hände und schreibe Dir. -
Warum
hast Du so lange nicht geschrieben, wo Du doch neulich geschrieben
hast, daß Du mir schreibst, wenn ich Dir nicht schreibe. - Mein Vater
hat mir gestern auch geschrieben. Er schreibt, daß er Dir geschrieben
hätte. Du hast mir aber kein Wort davon geschrieben, daß er Dir
geschrieben hat.
Hättest Du mir ein Wort davon geschrieben, daß Dir
mein Vater geschrieben hat, so hätte ich meinem Vater geschrieben, daß
Du ihm schon schreiben hättest wollen, hättest aber keine Zeit gehabt
zum Schreiben, sonst hättest Du ihm schon geschrieben.
Mit unserer
Schreiberei ist es sehr traurig, weil Du mir auf kein einziges
Schreiben, welches ich Dir geschrieben habe, geschrieben hast.
Wenn
Du nicht schreiben könntest, wäre es was anderes, dann tät ich Dir
überhaupt nicht schreiben, so kannst Du aber schreiben und schreibst
doch nicht, wenn ich Dir schreibe.
Ich schließe mein Schreiben und
hoffe, daß Du mir nun endlich einmal schreibst, sonst ist dies mein
letztes Schreiben, welches ich Dir geschrieben habe. Solltest Du aber
diesmal wieder nicht schreiben, so schreibe mir wenigstens, daß Du mir
überhaupt nicht schreiben willst, dann weiß ich wenigstens, warum Du mir
nie geschrieben hast.
Verzeihe mir die schlechte Schrift, ich
bekomme immer den Schreibkrampf unterm Schreiben, Du bekommst natürlich
nie den Schreibkrampf, weil Du nie schreibst.
Gruß und Kuß
Deine N.N.
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